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„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kommen Menschen“

 


Der Satz des Schweizer Schriftstellers Max Frisch aus dem Jahr 1963 trifft einen Kernpunkt von Arbeitsmigration und gilt bis heute.
In den Filmen über Arbeitsmigrant*innen kommen dem Arbeitsplatz und den bevorzugten Branchen – von der Stahl- oder Automobilindustrie über Straßenbau und Chemiebetriebe bis zur Lebensmittel- und Textilindustrie – eine wichtige Rolle zu. Entsprechende Aufnahmen vom Fließband, aus Werkshallen oder beim Einpacken von Stollwerck-Pralinen in Köln illustrieren die zahlreichen Bereiche, in denen die Arbeiter*innen beschäftigt sind (u.a. in „Aufbruch in ein fremdes Land“, „NRW heute und morgen – Gastarbeiter“).
Das Filmessay „Die industrielle Reservearmee“ (1971) von Helma Sanders-Brahms fällt durch seine klare politische Positionierung und Bezugnahme auf die Marxsche Wirtschaftstheorie auf. Bilder von Arbeitern auf Baustellen, am Fließband bei Ford und Interviews werden kombiniert mit Aufnahmen einer langen Reihe von ankommenden Menschen auf einem nächtlichen Bahnsteig. Der Off-Kommentar begleitet die Bilder in Form einer politischen Analyse des kapitalistischen Systems und verweist auf die Spaltung der Arbeiterschaft.

Eine Zäsur: Anwerbestopp 1973 und Streiks

 

In Folge der Ölpreis- und Weltwirtschaftskrise 1973 erließ die Bundesregierung einen Anwerbestopp, die staatliche organisierte Arbeitsmigration sollte beendet werden. Der Familiennachzug wurde damit zur einzigen noch zugelassenen Form der Einwanderung.
Bereits in den vorangegangenen Jahren war die Unzufriedenheit mit ungleichen Arbeitsbedingungen gewachsen. Ab Frühjahr 1973 wurde überall in der Bundesrepublik gestreikt. In die Schlagzeilen kamen die rund 300 „wilden Streiks“, weil sie „wild“, also nicht von den bundesdeutschen Gewerkschaften organisiert waren. Viele davon wurden erstmals mehrheitlich von Arbeitsmigrant*innen initiiert und angeführt.

Bei dem Autozulieferer Pierburg in Neuss übernahmen im Juni und im August 1973 mirgrantische Frauen die führende Rolle (1.700 von 2.000 Streikenden) für die Forderung nach Abschaffung der Leichtlohngruppen und einer Mark mehr Stundenlohn. Das Ergebnis: die Leichtlohngruppe 2 wurde abgeschafft und Lohnerhöhungen um 30 Pfenning für alle Arbeiter*innen durchgesetzt. Der Film„Pierburg: Ihr Kampf ist unser Kampf“ (1974/75) von Edith Schmidt-Marcello und David Wittenberg dokumentiert den Streik. Sie haben das Material, das während des Streiks von unterschiedlichen Akteur*innen vor Ort gedreht wurde, in Absprache mit den Streikenden montiert und mit eigenen Filmaufnahmen ergänzt.

Bekannt ist auch der sogenannte „Türken-Streik“ bei Ford in Köln vom 24. bis 30.8.1973. Auslöser waren ca. 300 Entlassungen von Arbeiter*innen, die verspätet aus dem Urlaub zurückgekehrt waren. Mehr als die Hälfte der 33.000 Beschäftigten beteiligte sich am Streik, vor allem türkeistämmige, aber auch einige deutsche und italienische Arbeiter*innen. Die Forderungen: „Verminderung der Bandgeschwindigkeiten, Senkung des Arbeitstempos, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, sechs Wochen Urlaub, eine Mark mehr für alle, Wiedereinstellung der Entlassenen, Bezahlung der Streikstunden.“ Nach einer Woche wurden der Streik und die Besetzung gewaltsam beendet. Baha Targün, Sprecher des Streikkomitees wurde in die Türkei ausgewiesen, 100 türkische Arbeiter erhielten ihre fristlose Kündigung.

Der Film „Bandstraße - Diese spontane Arbeitsniederlegung war nicht geplant“ (1982) rollt die Geschehnisse bei Ford in Köln im Rückblick auf. Deutsche und türkische Arbeitnehmer, die damals beteiligt waren, erzählen vom kurzen Triumph und der langen Niederlage, die der Streik, die Besetzung und die Zerschlagung nach einer Woche für sie bedeutete. Historische Aufnahmen und Ausschnitte aus der damaligen Fernsehberichterstattung begleiten die Erinnerungen und Auswirkungen, die bis in die Gegenwart der Beteiligten 1982 reichen.

„Mustafa geht in Rente“

 

Welche Folgen der Streik bei Ford, der Anwerbestopp und die sogenannten „Rückkehrprämien“ in den 1980er Jahren auf die Biografien der Arbeitsmigrant*innen haben, thematisieren zahlreiche dokumentarische Filmbeiträge ab den 1980er Jahren, u.a. „Abschied – von den Deutschen enttäuscht“ (1983), „Bittere Mandeln“ (1992).

Auch die geplante, erhoffte und immer wieder verschobene Rückkehr ist ein wiederkehrendes Thema vieler Filme der folgenden Jahrzehnte. Dabei wird deutlich, welchen Einfluss der Wunsch der Eltern nach Rückkehr auf die zweite und dritte Generation hat, wie z.B.in „Der bittere Dank - Mustafa geht in Rente“ (1993), „Türken in Deutschland“ (2005) oder „Unserer Väter Land“ (2012).
In diesem Film werden die Erzählungen und Einschätzungen der Väter, die in den 1060er und 1970er Jahren nach Deutschland kamen mit der Perspektive ihrer in Köln aufgewachsenen Töchter kontrastiert. Während die Töchter hier Ausbildung und Studium absolviert, sich Perspektiven aufgebaut haben, pendeln ihre Eltern zwischen Köln und ihren Heimatorten hin und her.

Arbeitsmigrantinnen – Frauen machen sich auf den Weg

 

Beim Thema „Gastarbeitergeschichte und -generation“ überwiegt noch immer das Bild der männlichen Arbeitsmigration. Dabei kamen von Anfang an mit den Anwerbeabkommen auch Frauen in die Bundesrepublik. Ihr Anteil stieg zwischen 1960 und 1973 von 43.000 auf 706.000, sie machten damit Anfang der 1970er Jahre über 30% der ausländischen Arbeitnehmer aus.
Frauen arbeiteten vorwiegend in den Bereichen Textilherstellung, Nahrungsmittel und Elektrotechnik. Im geschlechtsspezifisch organisierten Arbeitsmarkt wurden sie den sog. Leichtlohngruppen zugeordnet, wo sie 30-40% weniger verdienten als ihre männlichen Kollegen (siehe oben zum Streik bei der Firma Pierburg in Neuss).

 

Die filmische Darstellung dieses Kapitels der Einwanderungsgeschichte setzte erst spät ein. Ihre Dokumentation „Aufbruch in ein fremdes Land“ (2002) widmen Dieter Oeckl und Sigrid Sünkler den Biografien von drei Frauen: Pia, Teresa und Ulviye kamen aus Italien, Spanien und der Türkei nach Köln, arbeiteten u.a. in der Schokoladenfabrik Stollwerck. Später machten sich einige von ihnen selbständig, alle bauten sich ihr Leben zwischen Herkunftsland und Köln auf.