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Wie es Mitte der 1950er Jahre anfing

 


1955 wurde das erste der sogenannten Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik und Italien aufgesetzt. Es folgten weitere Abkommen mit Spanien, Griechenland, Portugal und der Türkei 1961 bis ins Jahr 1968 mit Jugoslawien.
Die Interessen an diesen Arbeitsverträgen ist je nach Land unterschiedlich. Während die Bundesrepublik Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre dringend Arbeitskräfte braucht, spielen in Griechenland, Italien oder Spanien je landesspezifische Gründe eine Rolle.
„Die Regierungen der mediterranen Länder wünschten sich, mit Hilfe der Anwerbeabkommen nicht nur die Arbeitslosigkeit zu drosseln, sondern auch die Wanderungsströme besser kontrollieren zu können. Wirtschaftlich erwarteten sie, durch Devisen und Kompetenztransfer die Armut zu lindern. Vor allem die italienische Regierung hegte die Hoffnung, ihr eklatantes Defizit in der Handelsbilanz zu reduzieren, und sie setzte darauf, durch Abwanderung den Unmut in der Bevölkerung zu dämpfen, um die starken kommunistischen Kräfte in Italien in Schach zu halten...“ (Hedwig Richter, 2015 auf zeitgeschichte-online.de)

Sprechende Bilder

 

Die ersten Filme zum Thema sind ausschließlich Fernsehreportagen und Magazinbeiträge aus den Sparten der aktuellen Berichterstattung.
„Ausländer auf unseren Straßen. Es könnten auch Marsmenschen sein, so fremd nehmen sie sich aus“, so ein Zitat aus dem Film „Der Mensch lebt nicht vom Lohn allein“(1961), eine der frühesten Fernseh-Reportagen über sogenannte Gastarbeiter. So paternalistisch, vorurteilsvoll und ausgrenzend mancher seiner Kommentare ist, enthält der Film bemerkenswerte Einschätzungen der damaligen Situation und zeitkritische Analysen. Er thematisiert genau die Fragestellungen, die Jahrzehnte später noch immer nicht gelöst sind – Wohnsituation, Sprachkenntnisse und Familiennachzug: „Nach fünf Jahren kann von Provisorium nicht die Rede sein. Familiennachzug ist nicht möglich. … In Wahrheit stehen wir schon vor einer Einwanderungsfrage, die ist mit Unterkünften allein nicht zu lösen.“

Ökonomische Aspekte dominieren in den Fernsehbeiträgen der 1960er- und frühen 1970er-Jahre: Filmaufnahmen aus den jeweiligen Betrieben, die sich um Arbeitsmigrant*innen beworben hatten, Interviews mit Arbeitgebern oder Mitarbeitern des Arbeitsamtes. Die Notwendigkeit der Anwerbung wird mit dem Fachkräftemangel in der Bundesrepublik erklärt, oft verbunden mit dem Hinweis auf niedrigeren Lebensstandard und unterentwickelte Wirtschaft in den Ländern Südeuropas. „Die deutsche Öffentlichkeit muss sich daran gewöhnen, dass ausländische Kräfte unser Bild prägen. Gastarbeiter sind eine Notwendigkeit geworden… Weil wir sie brauchen“ („Gastarbeiter“, WDR 1965).

Bahnhof, Mehrbettzimmer und Gemeinschaftsküchen – typische Motive

 

Mit Aufnahmen vom Münchner Hauptbahnhof beginnt der Film „Der Mensch lebt nicht vom Lohn allein“(1961). Bilder von ankommenden Zügen, vollen Bahnsteigen, Menschen mit Gepäck und suchendem Blick werden in vielen Fernsehberichten und Spielfilmen der folgenden Jahrzehnte die visuelle Erzählung über Arbeitsmigration prägen.

Kaum ein Film über Einwanderung und sogenannte Gastarbeiter, der ohne die Aufnahmen ankommender Züge und Menschen mit Koffern auskommt. Es ist das wiederkehrende Bildmotiv der Migration und steht für die Transit-Situation der Menschen, ihre Bewegung von einem zum anderen Land. In späteren Filmen und Fernsehbeiträgen zum Thema werden diese Motive durch Archivmaterial immer wieder aufgegriffen.
Bilder der in Gruppen zusammenstehenden Männer in Wintermänteln in der Bahnhofshalle finden sich auch in einem der ersten Spielfilme zum Thema Einwanderung „Der Unfall“ (1968). Hier  findet der Protagonist Paco am Kölner Hauptbahnhof Unterstützung bei der Suche nach seinem Bruder.
In „Kollege spricht nicht Deutsch“ (1963) heißt es über die „ausländischen Arbeitnehmer“ sie seien noch immer „Fremde in der Fremde“. Oder aber der Kommentator behauptet, dass „die Straße für den Südländer nichts Außergewöhnliches ist“ wie in „Was machen die Gastarbeiter während der Freizeit“ (1970).

 

Das Pendant zum öffentlichen Raum sind Szenen aus den Wohnheimen mit engen Mehrbettzimmern und Etagenbetten. In Gemeinschaftsküchen stehen Männer – ganz selbstverständlich – am Herd und gießen Spaghetti ab. Gestellte Szenen zeigen sie in Gruppen beim Zeitunglesen oder Tischtennisspiel.
Die Frage der Unterbringung steht von Anfang an in vielen damaligen Berichten im Zentrum. Einerseits bietet der Zustand der Baracken oft genug Grund für kritische Kommentare, andererseits kommen Arbeitgeber zu Wort, die stolz auf neugebaute Wohnheime verweisen. Fast immer aber handelt es sich in den Filmen der 1960er Jahre um Unterkünfte auf Zeit, nie um Wohnungen für Paare oder gar Familien. (wie z.B in „Zweite Fremdsprache Türkisch“, „Der Kollege aus Istanbul“).

„Fremde Sitten und Gebräuche“ – hier und dort

 

Zwar hatten erste Pizzerien in der Bundesrepublik schon eröffnet, auch italienische Eisdielen gab es bereits länger,  Auberginen und Knoblauch aber zählten zum unbekannten Gemüse. Bezeichnend – nicht zuletzt für die generalisierenden Vorurteile über sogenannte „Südländer“ – ist in „Der Unfall“ ein vom Betrieb organisiertes Fest, um sich kennenzulernen inklusive Spaghetti-Wettessen. Die beteiligten Spanier betrachten die Nudeln mit Unverständnis, ist ihnen das Einwickeln von Spaghetti doch ebenso unbekannt wie den Deutschen.
Vorbehalte gegen die ausländischen Arbeitnehmer werden besonders dann formuliert, wenn es um das „Erscheinungsbild“ in der Öffentlichkeit geht, wenn sie also sichtbar werden, in Kneipen, auf Straßen und Plätzen. Sitzen sie gemeinsam in einem Zimmer, singen oder feiern mit „Landsleuten“, dominiert in Bild und Ton eher die folkloristische Atmosphäre.

Die Fremdheitsgefühle gegenüber den „Gästen“, die keine sind, werden über Jahre in wechselnder Deutlichkeit formuliert und stehen zugleich in Kontrast zu einer parallelen Entwicklung: Aufgrund der wachsenden Wirtschaftskraft (nicht zuletzt dank der immer größer werdenden Anzahl an Arbeitsmigrant*innen) und größerer Mobilität stiegen Reiselust bzw. Reisemöglichkeiten der Bundesdeutschen deutlich. Ab 1973 fuhr ein Drittel der Bundesbürger*innen regelmäßig in den Urlaub, Italien wurde zu einem der beliebtesten Ferienziele.