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Wer spricht?

 


In den frühen Fernsehreportagen und Magazinbeiträgen sprechen fast durchweg die deutschen Autoren und deutsche Interviewpartner. Kommen Arbeitsmigrant*innen zu Wort, so sind sie namenlos. Meist bleibt es bei einem Satz oder bei bruchstückhaften Antworten, da eine Übersetzung für das Gespräch in vielen Fällen offenbar nicht eingeplant war.

Ab Mitte der 1970er Jahren entstehen erste Beispiele für eine andere Herangehensweise. Dokumentarische Formen entwickeln sich, in denen Regisseur*innen teilweise eine subjektive Position innerhalb ihres eigenen Films einnehmen. Die Befragten werden häufiger ins Zentrum gerückt, es entstehen Porträts einzelner Personen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Fragestellungen oder Kommentare weniger wertend oder interpretierend sind.

Ein frühes Beispiel für eine eher beobachtende Haltung ist „Schnappschüsse“ von Karl Wiehn und Anne Dorn, einem Teil des WDR-Films „Kulis, Kinder und Kollegen“ (1973). Wiehn und Dorn konzentrieren sich ausschließlich auf Kinder in Ehrenfeld, interviewen Jungen und Mädchen zu ihren Erfahrungen im Unterricht, mit anderen Kindern, fragen nach Vorurteilen, Streitigkeiten und Zukunftswünschen. Allerdings wirken die Fragen in ihrer Wortwahl oft unterstellend, fast bedrängend, lassen den Kindern kaum Zeit oder Raum für eigene Antworten. Umso deutlicher fallen die Off-Kommentare von Wiehn und Dorn zur desolaten Wohn- und Bildungssituation der Einwandererkinder aus.

Drehort Köln Ehrenfeld

 

Der Stadtteil Ehrenfeld ist ein beliebter Schauplatz für dokumentarische Filme über Arbeitsmigration in Köln. Zwei Langzeitdokumentationen sind hier angesiedelt:
„Eine Kölner Familie“ (1976) und „Fremde Heimat“ (1978) porträtieren eine aus Italien stammende Familie, deren drei heranwachsende Kinder in Köln zur Schule gehen, Studium und Ausbildung begonnen haben. Auf Kommentar wird fast völlig verzichtet, dafür ist die Kamera mitten drin im Geschehen, folgt den Protagonist*innen. Kontroverse und aktuelle Diskussionsthemen und Lebensperspektiven der Eltern und Kinder erschließen sich aus ihren lebhaften Gesprächen.

„Der Kölsche Hasan“ (1980) dokumentiert den Lebensweg des anfangs 15-jährigen Hasan. Als er mit neun Jahren aus der Türkei nach Köln kommt, wird er in die erste Klasse eingeschult, eine Lehre bricht er später ab, findet in der Folge nur noch befristete Jobs. Autor Karl Wiehn begleitet ihn über sechs Jahre, befragt ihn nach seinen finanziellen Schwierigkeiten, dem Streit mit den Eltern und der Ehe mit seiner Freundin, die ebenfalls zu Wort kommt. Das Porträt endet, als der Kontakt zum Protagonisten Hasan abbricht.

Mit anderen Augen

 

Bereits in der Fernsehdokumentation „Deutschland ist wie ein Kühlschrank“ von 1988 beschreibt die vietnamesische Co-Autorin Doan Minh Phuong die damals „ausländerfeindlich“ genannten Angriffe auf Eingewanderte, die in ihrem Umfeld zwischen Bonn und Köln geschehen. In der WDR-Serie „Mit anderen Augen“, die sie gemeinsam mit Co-Autor Gert Monheim realisiert, erzählt sie aus der Ich-Perspektive. Aus dem Off liest sie einen Brief an eine Freundin in Vietnam vor, in dem sie von ihrem Leben in Deutschland berichtet. Sie erzählt von ihren Beobachtungen und Schwierigkeiten mit der deutschen Umgebung und Nachbarschaft, schildert Ressentiments und Erfahrungen aus ihrem Bekanntenkreis. Durch ihre Reflektionen und Einordnungen wird die Perspektive der „anderen Augen“ sichtbar.

Eine besondere Form des Gesprächs

 


Eine weitere Langzeit-Dokumentation entsteht zwischen 2004 und 2011. Es wird also noch rund 15 Jahre dauern, bis sich die filmische Darstellung der Einwanderungsgesellschaft sicht- und hörbar verändert.
Dokumentarfilmregisseurin Bettina Braun erschafft in ihrer Trilogie ein ganz besonderes Porträt junger Einwanderer. Im Jugendzentrum Klingepütz in Köln trifft sie 2003 mehrere Jungen, die sich dort zum Rappen und Abhängen treffen. Sieben Jahre lang folgt die Regisseurin drei dieser Jugendlichen – Ali, Kais und Alban, später auch Alis jüngerem Bruder Moussa, mit Eltern aus Marokko, Albanien und Tunesien. Sie selbst steht hinter der Kamera, stellt Fragen, kommentiert und ist damit von Anfang an im unmittelbaren Kontakt und Gespräch mit den Jungen vor der Kamera, die ihr direkt antworten, zurückfragen oder auch ausweichen.
Das Zwiegespräch, das sich dadurch über mehrere Jahre entwickelt, ist keineswegs konfliktlos. Verabredungen, die nicht eingehalten werden, Ausflüchte und die teils erfolglosen Bemühungen um Lehrstellen und Jobsuche begleiten die drei Filme der Trilogie „Was lebst du?“, „Was du willst“ und „Wo steht du?“.