Der Experimentalfilm nutzt die Materialität des Filmstreifens auf unterschiedlichste Weise. Er arbeitet mit Doppelbelichtungen und Flackereffekten. Selbst das Schmelzen des Materials durch...
XSCREEN – Kölner Studio für den unabhängigen Film
Die späten sechziger Jahre waren auch in Köln von politischen und gesellschaftlichen Veränderungen und Unruhen, von Diskussionen und Demonstrationen geprägt. 1966 protestierten tausende Schüler und Studenten mehrere Tage lang gegen Fahrpreiserhöhungen der KVB. Es war die erste Protestkundgebung diesen Ausmaßes in der Stadt nach dem Krieg.
Demonstrationen gegen die Notstandsgesetzgebung und den Vietnamkrieg folgten. Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg in Berlin im Juni 1967 führte überall in der Bundesrepublik zu Schweigemärschen und Protesten gegen die Hetze der Springerpresse, so auch in Köln. Und mit Fluxus und Neuer Musik geriet auch die Kunst- und Kulturszene im Rheinland in Bewegung.
Eine der kreativsten Initiativen in diesen Jahren war „XSCREEN – Kölner Studio für den unabhängigen Film“, gegründet im Frühjahr 1968 in Köln. Filmemacher und Filmkritiker organisierten Filmvorführungen mit Undergroundfilmen, die bis dahin noch nie in deutschen Kinos gelaufen waren. Filmische Experimente, Expanded-Cinema-Aktionen und Produktionen des New American Cinema kamen so in Kölner Kinos und führten zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen über Kunst und die Freiheit von Kunst.
Wie es begann
Ein Filmfestival an der belgischen Küste hatte für Köln im Jahr 1968 außergewöhnliche Folgen. Vom 25. Dezember 1967 bis zum 2. Januar 1968 fand in Knokke das 4. Experimentalfilmfestival „exprmntl“ statt. Dieses Festival mit seinen internationalen Begegnungen und dem Austausch unabhängiger Filmemacher und Filmkooperativen aus aller Welt, insbesondere aus Nordamerika, gab die Initialzündung für eine besondere Initiative in Köln: Eine Gruppe filmbegeisterter Besucher gründete nach ihrer Rückkehr aus Knokke „XSCREEN – Kölner Studio für den unabhängigen Film“.
Die Filmemacherin Birgit Hein erinnert sich:
„Nach Knokke bekamen wir eine Einladung von Rolf Wiest, der Journalist beim Kölner Stadtanzeiger war und den wir bis dahin noch nicht kannten. Er lud uns zu einem Treffen mit allen Beteiligten aus dem Kölner Raum, die in Knokke anwesend waren, ein. Unter anderem waren das Lutz Mommartz aus Düsseldorf, aus Köln Dietrich Schubert Rosenthal, später politischer Filmemacher, Wilfried Reichart, ebenfalls Redakteur beim Stadtanzeiger und Hans-Peter Kochenrath. Auf diesem Treffen wurde beschlossen, einen Verein zu gründen, um unabhängige Filme vorzuführen, weil so etwas nicht existierte. Schließlich wollten alle Beteiligten unbedingt, durch Knokke inspiriert – die amerikanischen und europäischen Underground-Filme zeigen, die damals noch nicht so hießen, sondern als Experimentalfilme bezeichnet wurden.“ (Birgit Hein in: „The Art of Programming“, Heike Klippel, München 2008)
Und Filmkritiker Wilfried Reichart schreibt 2004:
„So saßen wir also unter dem Einfluss der Bilder aus Knokke in Georga Wiests Boutique Masculin-Feminin am Karl Berbuer-Platz und waren wild entschlossen, das neue Kino in die Öffentlichkeit zu bringen. Wir gründeten einen Verein, fanden einen Namen – XSCREEN –, den wir um den Untertitel „Kölner Studio für den unabhängigen Film“ ergänzten.“ („Those were the days, my friend“ in „Köln im Film – Filmgeschichte(n) einer Stadt“, Hg. Christa Aretz, Irene Schoor, Köln 2004)
Die erste Nacht
Am 24. März 1968 fand im Kino Lupe auf der Zülpicher Straße (heute Off-Broadway) die erste Veranstaltung von XSCREEN statt, mit Filmen aus Österreich, präsentiert von der Medienkünstlerin VALIE EXPORT und Peter Weibel aus Wien.
Wilfried Reichart beschreibt den Abend: „Am 24. März 1968, es war ein Sonntag, sollte um 23.15 Uhr in der Lupe die erste XSCREEN-Veranstaltung beginnen mit Experimentalfilmen von Kurt Kren, Hans Scheugl, Ernst Schmidt, Peter Weibel, präsentiert von Peter Weibel und VALIE EXPORT, Eintritt 3 Mark (+ 1 Mark Clubeintritt). Sollte .... Denn natürlich ging alles drunter und drüber, die Projektoren funktionierten nicht, die Filmrollen lagen auf Ende, die eingelegten Filme rissen, es war ein chaotisches Happening, und die Lupe war voll. Als dann die Bilder mit Verspätung über die Leinwand flimmerten, reagierte das Publikum belustigt und ironisch, wütend und böse, auf jeden Fall nicht gleichgültig. Das war ein guter Anfang“.
„Der Andrang des Publikums war so groß, dass wir eine zweite Veranstaltung ansetzen mussten. Es gab ein riesiges Chaos, denn wir waren überhaupt noch nie in dem Vorführraum eines Kinos gewesen, und keiner von uns war mit der Bedienung vertraut. Bei den Liveaktionen ging das Licht an der falschen Stelle an oder aus oder der Vorhang zu oder auf. Es gab lange Pausen, in denen sich das Publikum selbst unterhielt. Und als dann der „20.September“ von Kurt Kren lief, flüchtete ein großer Teil des Publikums. Heute gelten XSCREEN-Veranstaltungen als legendär“, erinnert sich Birgit Hein anlässlich der Ausstellung X-SCREEN in Wien 2004.
In den kommenden Jahren brachte XSCREEN mit zahlreichen Veranstaltungen den Undergroundfilm auf Kölner Leinwände und sorgte für zum Teil heftige öffentliche Diskussionen über die Freiheit der Kunst.
Underground Explosion Tournee 1969
Kurz nach dem Beginn von XSCREEN in Köln gründete Karlheinz Hein (Bruder von Wilhelm Hein) in München das Underground Film Center, einen Vorführort für unabhängigen Film. „Den Otto Muehl hat eigentlich Wilhelms Bruder entdeckt. Die ersten Vorführungen von Muehl fanden im Undependent Film Center statt“, so Birgit Hein.
Im November 1968 organisierte Karlheinz Hein in München das erste europäische Treffen unabhängiger Filmemacher. 40 Teilnehmer aus Italien, Österreich, Großbritannien, den Niederlanden, Deutschland und der Schweiz reisten an. Mit der P.A.P. (Progressive Art Production), entstand anschließend eine Musik- und Künstleragentur, die 1969 die sogenannte „Underground Explosion“-Tournee mit einem Film- und Musikprogramm durch westdeutsche Städte schickte.
In Köln fand die Veranstaltung in der Sporthalle Köln-Deutz statt: die Aktionskünstler Peter Weibel und VALIE EXPORT aus Wien traten ebenso auf wie mehrere Musikgruppen, u.a. Amon Düül II und Paul und Limpe Fuchs. Diesmal blieb der Skandal aus.