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Engagierte Programmarbeit

 
 

Bereits wenige Tage nach der ersten Veranstaltung in der Lupe organisierte XSCREEN eine höchst aktuelle und brisante Vorführung: Gezeigt wurde der bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen in Oberhausen von der Festivalleitung aus dem Programm genommene Film „Besonders wertvoll“ von Hellmuth Costard. 
In dem Kurzfilm trägt ein Penis die Sittenklausel des damaligen Filmförderungsgesetzes vor. Mit im Kölner Programm waren auch Kurzfilme von Thomas Struck, Werner Nekes, Adolf Winkelmann u.a., die die Regisseure aus Protest gegen die Zensurmaßnahme des Festivals zurückgezogen hatten. 

Warhol in Köln

 

Am 29. April 1968 platzte das Theater am Rudolfplatz bei einer XSCREEN-Veranstaltung aus allen Nähten: Es lief „The Chelsea Girls“ von Andy Warhol. Der amerikanische Maler gehörte zu dieser Zeit bereits mit seinen Siebdrucken von Campbell-Suppendosen und Marilyn-Monroe-Serials zu den erfolgreichen Pop-Art-Künstlern New Yorks. Seit 1963 produzierte Warhol in seinem Atelier „Factory“ auch Filme, die zum amerikanischen Underground-Film zählen. 
„Chelsea Girls“ umfasst zwölf Filmrollen à 35 Minuten, die simultan abgespielt werden. Mal kommt der Ton von rechts, mal von links.

„In der rechten Hälfte schneidet die schöne Nico 35 Minuten lang an ihren Ponyfransen herum, fünf Minuten später entwickelt sich im linken Bild ein Gespräch, in dem ein selbsternannter Priester das Mädchen Ingrid Superstar zu einer enervierenden Beichte animiert. Nach jeweils 35 Minuten wechseln die Szenen... Das Ganze war eine Zumutung für ein mit der Dramaturgie des Underground nicht vertrautem Publikum. In Scharen wie es in den großen Saal des Rudolfplatzkinos geströmt war, strömte es auch wieder hinaus, und nach Mitternacht waren die Avantgardisten des „Anderen Kinos“ wieder unter sich.“ (Wilfried Reichart 2004).

Weitere Veranstaltungen folgten, u.a. mit italienischen und schweizer Filmen sowie ein Programm des New American Cinema mit Filmen von Gregory Makropoulos, Stan Brakhage, Ken Jacobs, Bruce Baillie u.a. 
Wenige Monate später erlangte XSCREEN durch das rabiate Vorgehen der Kölner Polizei Bekanntheit weit über die Stadtgrenzen hinaus. 

Programmarbeit

 

Die Programmarbeit von XSCREEN füllte Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre, eine Lücke, die von dem Publikum ihrer Veranstaltungen deutlich wahrgenommen wurde. Denn in den Kinos dieser Zeit liefen vor allem Filme mit Titeln wie z.B. „Der Hexenjäger“, „Eine Kugel für den Bastard“ (Italo-Western) „Klassenkeile“ (sogenannter Paukerfilm mit Uschi Glas). Dazwischen „Yellow Submarine“ mit den Beatles, „Doktor Schiwago“ und „Agenten sterben einsam“ mit Clint Eastwood. (Aus einem Kölner Kinoprogramm im Mai 1969).

Eine Ausnahme bildeten in Köln die Vorführungen der Arbeitsgemeinschaft für Filmfragen. Ende der fünfziger Jahre von Erwin K. Scheuch und Leo Schönecker an der Kölner Universität gegründet, zeigten sie in der Universität, der Volkshochschule und in der „Brücke“ (heute Kölnischer Kunstverein und Filmclub 813) ein ambitioniertes Programm mit Filmen aus Osteuropa, aus Frankreich und Italien. Im Februar 1968 beispielsweise liefen in der Aula der Universität Filme des amerikanischen Underground-Künstlers Gregory Makropoulous, der später auch in XSCREEN-Programmen zu sehen war. 

Politische Filme machen oder Film politisch machen

 

Anfangs beteiligten sich bei XSCREEN auch Filminteressierte bzw. Filmemacher, die sich mehr an explizit politischen Themen oder dokumentarischen Arbeitsweisen orientierten wie Helma Sanders-Brahms und Dietrich Schubert. Zusammen mit anderen gründeten Schubert und Sanders-Brahms den Verleih „Polit Coop Köln“, durchaus in Abgrenzung zu XSCREEN, wie Schubert anmerkt. Trotzdem arbeiteten sie weiter zusammen und die Polit Coop organisierte ein Programm mit internationalen Filmen, das von XSCREEN in der Lupe präsentiert wurde. Beide schätzen auch im Nachhinein die Aktivitäten sowie die Initiative von XSCREEN als ausgesprochen anregend und wichtig ein.

 

Dietrich Schubert schreibt 2004: „Für mich war die XSCREEN-Zeit die spannendste der Kölner Filmszene in den letzten 35 Jahren... Wir diskutierten intensiv warum wir Filme machen, wie wir erzählen, was uns wichtig ist. Dabei stritten zwei Fraktionen. Sollte man politische Filme machen oder Film politisch machen? Sollte man durch Filme mit politischem Inhalt gesellschaftliche Verhältnisse ändern wollen oder, wie zum Beispiel Otto Mühl und Kurt Kren in Wien, durch Filme und Aktionen provozieren, die tradierte Ästhetik zertrümmern?“ („Köln im Film – Filmgeschichte(n) einer Stadt“, Hg. Christa Aretz, Irene Schoor, Köln 2004). 

Helma Sanders-Brahms arbeitete Ende der sechziger Jahre zunächst als Fernsehansagerin im WDR und fing dann an, selbst Filme zu drehen („Angelika Urban, Verkäuferin, verlobt“, 1970). Sie erinnert sich: „Köln war ein idealer Ort, die Stadt war ungeheuer lebendig. Ich hatte immer das Gefühl, wie eine Schizophrene zu leben, weil ich einerseits natürlich mich in die Maske begab und auf Ansagerin machte und ein Hausfrauengesicht ablieferte. Und wenn ich dann da fertig war, dann ging ich eben an dieser Orte in Köln, wo unter Umständen die Polizei wartete, um uns fest zu nehmen ... Es gab damals die XSCREEN-Vorführung in der Kölner U-Bahn, da bin ich zum Beispiel auch festgenommen worden. Und die waren natürlich völlig verwirrt, als jemand sagte, das ist die Ansagerin“ (2004). 

Gegen Kommerz und Kulturbetrieb

 

XSCREEN setzte seine Arbeit in den folgenden drei Jahren kontinuierlich fort. Ein ganz wesentliches Merkmal der Vorführungen: XSCREEN zahlte pro Minute 1,50 € an die Filmemacher (damals 3 DM, und weit mehr als sonst für Experimentalfilm gezahlt wurde) – ein Novum und ein politisches Statement, wurden so doch erfolgreiche und weniger erfolgreiche Filmemacher und ihre Arbeit gleich behandelt.
Die Gruppe organisierte rund 80 Filmprogramme, u.a. mit Filmen von Luis Bunuel, Rosa von Praunheim, Andy Warhol, Jean Genet, Otto Muehl und Vlado Kristl, Jonas Mekas und Jack Smith, Jean Cocteau, Werner Nekes, Jean-Luc Godard und Malcom LeGrice, mit Filmen aus Japan, Kanada und Italien. Damit wurde auch in Köln gezeigt, was im internationalen Undergroundkino entstand oder bereits zur Geschichte zählte.

1971 gab das XSCREEN-Kollektiv ein Buch mit dem Titel „XSCREEN“ heraus. Der großformatige Band enthält zahlreiche Fotos, Filmstills und Materialen zu Kölner Veranstaltungen und zu Akteuren des internationalen Undergroundfilms. In der programmatischen Einleitung „Underground Film: gegen Kommerz und Kulturbetrieb“ heißt es: 
„Die Bezeichnung Underground ist kein Stilbegriff, der die Filme klassifiziert, sondern sie gibt Auskunft über eine Situation: die Filme existieren im Untergrund, d.h. es gibt für sie keine Vorführstellen, keine Finanzierungsmöglichkeiten und keine Publikationsorgane. Der Undergroundfilm gehört in den großen Bereich der Subkultur, die sich seit den 60er Jahren mit Musik, Theater und Literatur parallel zur offiziellen Kultur entwickelt hat und zu einer weltweiten Bewegung der fortschrittlichen Kunst geworden ist... Mit dem kommerziellen Film hat der Undergroundfilm lediglich das Material gemeinsam; in Inhalt, Form und Produktionsprozeß haben beide Bereiche nichts miteinander zu tun.“