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Kölsch-Rock-Szene und Vorläufer

 


Eine Art Vorläufer der frühen Kölsch-Rock-Szene der 1970er und 1980er Jahre war die Gruppe „Floh de Cologne“, gegründet Anfang 1966 von fünf Studenten der Theaterwissenschaft an der Kölner Universität.
Die Politkabarett-Gruppe entstand im Umfeld von APO (außerparlamentarischen Opposition) und SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund) und vertrat klare politische Aussagen, formulierte deutliche Forderungen nach Systemwechsel. Mit ihren system- und kapitalismuskritischen Texten in deutscher Sprache war sie die erste Polit-Rockband Deutschlands.
„Wir haben als Kabarett-Gruppe angefangen, als Studenten-Kabarett. Und das kam absolut vom Inhalt. Man muss sehen, 1966 als der Floh gegründet wurde, gab es eine GroKo und der Bundeskanzler war ein Alt-Nazi, Kiesinger. Das war also alles absolut inhaltlicher politischer Protest, weshalb diese Gruppe überhaupt entstanden ist.“ Dick Städtler (in BR 2, von Sandra Limoncini  25.5.2021)

Politische Rockopern von Floh de Cologne

 

1969 erschien das zweite Album von Floh de Cologne „Fließbandbabys Beat-Show“, 1970 traten sie beim Love & Peace Festival in Fehmarn auf, nach Jimmi Hendrix. 1971 entstand die Rock-Oper „Profitgeier“, die die ausbeuterischen Verhältnisse der damaligen Lehrlingsausbildung thematisiert. Die „Lehrlingsoper“ fand auch in der damaligen aktuellen Fernsehberichterstattung Aufmerksamkeit, in „Premiere des neuen Programms“ und in der Sendung Monitor  „Rockoper zur Lehrlingsausbildung“. In der „Geyer-Symphonie" 1972 collagierten die Musiker Politikerreden anlässlich des Begräbnisses des Industriellen Flick. Sie nahmen Stellung zum Putsch in Chile 1973 und erzählten 1980 in „Koslowsky“ vom Schicksal eines Stahlarbeiters, dessen Lebensweg vom Ruhrgebiet bis in den Bayrischen Wald führt – dokumentiert in der Sendung Dreizack mit „Rockoper“.

 

Ab 1980 waren Teile der Band (Vridolin Enxing als Vorsitzender) aktiv bei Rock gegen Rechts, im selben Jahr erhielt die Gruppe den Deutschen Kleinkunstpreis zusammen mit Gerhard Polt.
Über ihre eigenen Auftritte hinaus arbeiteten sie mit den Komponisten Hans Werner Henze, Mauricio Kagel und dem Theaterregisseur Roberto Ciulli zusammen. Floh de Cologne war eine dezidiert politische Gruppe bis zum Ende ihrer Bandzeit 1983. In den Jahren 1966 bis 1983 traten sie bei über 3.000 Konzerten in Deutschland und Europa auf.

„Als erste begannen sie, richtige Programmgeschichten, abendfüllende Bühnenwerke, satirischen Inhalts zu fertigen – zumindest für Deutschland sind sie die Erfinder der Rockoper. Schließlich noch waren sie es, die engagierte Texte der Liedermacher-Aura entkleideten und saftige Songs und Schlager daraus machten; so sind sie schließlich die Großväter aller neueren deutschen Wellen geworden“  (Michael Frank: Süddeutsche Zeitung, 7. April 1983)

Ihr Abschiedskonzert 1983 gaben sie in der Kölner Sporthalle. Es dauerte 14 Stunden, mit dabei waren u.a. Dieter Süverkrüp, Franz-Josef Degenhardt, Hanns-Dieter Hüsch, BAP und Ina Deter.

Einfach aufdrehn – Rockmusik aus Köln

 

Ab den siebziger Jahren entwickelte sich in Köln eine lebendige Rock-Szene, die ihre Songs neben deutsch und englisch verstärkt auch im heimischen Dialekt sang. „Kölsch-Rock“ wurde zum Markenzeichen. Die Namen reichen von Bläck Fööss bis Zeltinger, von BAP bis King Size Dick.
Mathias P. Laermanns und Werner Stein dokumentierten 1981 in ihrem Film „Einfach aufdrehn - Musiker und die Realität“, die Anfänge der Kölsch-Rockszene. Zeltinger-Band und BAP, Acapulco Gold und Nichts geht mehr, Arno Steffen und Holger Czukay, Jaki Liebezeit und Dick & Alex –  die damals jungen Protagonisten der Kölner Musikszene stehen am Anfang ihrer Karriere und erzählen offen und mit Witz von Lust und Frust als Kölsch Rocker.

Die Dokumentation beginnt mit Ausschnitten aus einem Zeltinger-Konzert. „Alles klar Dreckspack?”, begrüsst der „Chef” seine Fangemeinde, während er mit einer Hand seinen massigen nackten Bauch massiert. Jürgen Zeltinger war 1981 der König der Szene. Im Kölner In-Club Roxy nahm er 1979 sein Debut-Album „Live im Roxy” auf. Beim Backstage-Interview präsentiert sich Zeltinger im paillettenbestickten rosa Overall und mit dem ehrlichen Bekenntnis: „Ich habe nie wirklich genug Geld verdient.”

Auch King Size Dick gehörte von Anfang an zur Szene. Der ehemalige Roadie der Bläck Fööss trat ab 1981 mit seinem Partner Alex Parche als Dick & Alex auf. Während er zwei Jahrzehnte später eher für ein gepflegt vorgetragenes „New York, New York” bekannt ist, entleerte er damals auf dem Höhepunkt seiner Konzerte schon mal zwei Dosen Bier über seinem zotteligen Haupt.

Von der Musik leben?

 

Kaum einer der Musiker konnte in den Anfängen von seiner Musik leben wie der Film von Mathias Laermanns und Werner Stein zeigt. 
Arno Steffen, Anfang der achtziger Jahre Mitglied der Rockgruppe Triumvirat und Produzent der Zeltinger Band rechnet vor laufender Kamera vor, warum ein Straßenbahnfahrer mehr verdient, als der Musiker einer Band, deren Album sich 100.000 Mal verkaufte. 1993 widmet der WDR Arno Steffen ein Porträt  in dem Film „Mach die Augen zu und komm” von Bärbel Schröder.

Auch Wolfgang Niedecken stand damals ohne regelmäßige Einnahmen und ohne soziale Absicherung da. Im Jahre 1981 betrieben die Mitglieder von BAP ihre Musik noch als Hobby. „Die dritte LP soll mal so viel abwerfen, dass wir uns davon ernähren können”, wünschte sich Wolfgang Niedecken im Filminterview, ein Wunsch, der bekanntlich in Erfüllung gehen sollte: Das dritte BAP-Album „Für usszeschnigge” landete auf Platz 1 der Charts!

Mehr als zwanzig Jahre später ist die Dokumentation über die Kölner Musikszene mit ungeschminkten und authentischen (Selbst-)Darstellungen der einzelnen Musiker ein seltenes Zeitdokument. Nicht zuletzt lässt es Schmunzeln, gewährt es doch – angesichts der heutigen Erfolge seiner Protagonisten – einen Einblick in die Anfangszeit des Kölsch-Rock, die fast schon vergessen ist.

Die Bläck Fööss

 

Für die Entwicklung einer eigenen Kölsch-Rockszene leisteten die „Bläck Fööss“ Pionierarbeit.

Bereits 1970 hatte die Band  (Tommy Engel, Erry Stoklosa, Kafi Biermann, Peter Schütten, Hartmut Priess, Willy Schnitzler, Ralph Gusovius, Günther Lückerath) als erste Gruppe Karnevalslieder mit aktueller Popmusik verbunden. Sie wurden schnell populär und somit auch Teil unzähliger Fernsehdokumentationen. 
1979 produzierte der WDR beispielsweise den Film „Barfuß in Köln”. Darin werden Stücke der „Bläck Fööss“ wie „In unserm Veedel”, „Dr. Pillemann” oder „Mikado” mit eigens produzierten Videoclips vorgestellt. 
„Mikado” (1979) ist der Tribut der „Bläck Fööss“ an die Disco-Ära und die Ende der 1970er-Jahre populäre Serie „Kung Fu”. Dabei spielt die Band den Song nicht nur 'live' auf der Bühne, sondern stellt in eingespielten Sketchen auch die Handlung des Stückes nach - inklusive Kampfszenen in Anlehnung an „Laurel und Hardy” und explodierenden Fernsehern.
Eine zentrale Rolle in den Liedern der Gruppe spielen Kölner Alltagsgeschichten, die in den Clips ebenso wie in zahlreichen Filmen über und mit den „Bläck Fööss“ visuell unterstützt werden.

Wolfgang Niedecken und BAP

 

Kein Kölner Musiker ist so oft porträtiert worden wie Wolfgang Niedecken mit BAP. Nachdem die Gruppe mit ihrem dritten Album den Durchbruch geschafft hatte, zeichnete der WDR im November 1981 ein Konzert von BAP (in der Hamburger Markthalle) für seine Sendereihe Rockpalast auf. Damit war die Band, die bis dahin meist nur in Köln und Umgebung aufgetreten war, landesweit bekannt.

Ihren Aufstieg zur erfolgreichsten bundesdeutschen Rockformation dokumentieren Fernseh- und Filmberichte wie Wolfgang Niedecken auf neuen Wegen” (1987), „Im Studio mit Wolfgang Niedecken und Complizen” (1987), „BAP in China” (1988), Wolfgang Niedecken bei „Ich stelle mich” (1990), „BAP – Mit offenen Karten” (1993) und „BAP-Sonx – der Film” (2004).

1985 entstand mit „Kölner Erinnerungen aus 40 Jahren“ ein ausführliches Gespräch zwischen Heinrich Böll und Wolfgang Niedecken.
Ein Jahr später folgte die Dokumentation „Geschichten von Jupp, Jojo und unserem Globus”: sie zeigt die enge Verbundenheit Niedeckens mit seiner Heimatstadt und spürt der Entstehung von Song-Texten im Kölner Alltagsleben nach. Damals wurde Niedeckens viel-besungene Südstadt schon zum Wallfahrtsort für BAP-Fans. So ist zu sehen, wie Fans Schnipseljagden veranstalteten und Graffiti-Botschaften an der Hauswand des BAP-Büros hinterließen wie das Heinrich Böll Zitat: "Ich bin ein Clown und sammle Augenblicke". 
Herbert Hoven und Bölls Neffe Viktor Böll interviewen Niedecken in dessen Wohnzimmer, wo er zwischen Jukebox, Plattenregal und Carmen-Foto-Collage darüber spricht, wie der Text zu dem BAP-Song "Jupp" entstand: Eines Tages habe in einer Kneipe ein Stadtstreicher neben ihm gestanden, offensichtlich auf der Suche nach einem Gesprächspartner. Um eine Unterhaltung in Gang zu bringen, lobte er Niedeckens Hund: „Der Schäferhund ist der beste Freund des Menschen. Mir hat mal einer in Alaska das Leben gerettet.” Nun hatte Niedecken gar keinen Schäferhund und der Mann war wahrscheinlich auch nie in Alaska gewesen. „Dann habe ich mir ausgemalt”, erinnert sich Niedecken, „wenn der mir von Alaska erzählt, was könnte der ansonsten noch an Storys erzählen” – wovon Niedecken dann in seinem Stück „Jupp” singt.
Der Film zeigt auch Ausschnitte von einem Live-Konzert in Böblingen - inklusive hochdeutschen Untertiteln - und Proben der Band in einer Turnhalle. 

Wenders trifft Niedecken

 

In einer Düsseldorfer Galerie traf Wolfgang Niedecken 1999 Wim Wenders. Der erfolgreiche Regisseur outete sich als BAP-Fan, und Niedecken schlug ihm vor, doch mal ein Video zusammen zu drehen. Ein Video war Wenders zu wenig. Er wollte lieber „was Richtiges machen“, einen Kinofilm. Nach seinem Erfolg mit „Buena Vista Social Club“, der ihm eine Oscar-Nominierung eingebracht hatte, tauchte Wenders nun mit Niedecken in die Vergangenheit von BAP und von Kölns Rock’n’Roll-Szene ein, auch wenn er sich als Drehort für Konzertmitschnitte und Interviews die legendäre Lichtburg in Essen aussuchte. In diesem alten Kinopalast, der kurz vor der Schließung stand, hatte der gebürtige Oberhausener Wim Wenders schon als Kind Filme geguckt. Im Frühjahr 2000 entstanden dort Aufnahmen für Viel passiert – Der BAP-Film”.

Der Untertitel ist eigentlich irreführend, handelt es sich doch weniger um eine Dokumentation der Gruppe BAP, als vielmehr um eine Hommage an Wolfgang Niedecken. Die Band spielt live auf der Kinobühne - mal ohne Zuschauer, mal vor gestelltem Publikum - während Szenen aus dem Leben Niedeckens auf der Leinwand zu sehen sind. Seine Kindheit in der Kölner Südstadt, ein Karnevalsumzug am Severinstor und die Helden der Meistermannschaft des 1.FC Köln. Dazu Filmausschnitte von dem Konzert der Rolling Stones 1967 in der Kölner Sporthalle (Niedeckens erstes Rockkonzert) und dem legendären Auftritt Wolf Biermanns einige Jahre später an gleicher Stelle, den Niedecken damals gebannt am Radio verfolgte. Man sieht Niedecken im Gespräch mit Nobelpreisträger Heinrich Böll, mit BAP unterwegs in China und beim „Arsch Huh Konzert“ auf dem Chlodwigplatz.

The Piano has been drinking

 

Ein weiterer Kölner Musiker ist Gerd Köster. Nach seinem Zivildienst sprang er 1979 spontan als Sänger bei der Politrock-Anarcho-Band „Schroeder Roadshow“ ein. Über die Tour hinaus blieb er Frontman der Band. 1989 gründete er die Band „The Piano has been drinking“, die u.a. Lieder von Tom Waits ins Kölsche übertrug, diese neu arrangierte und mit viel rheinischen Lokalkolorit schmückte. Daraus entstanden z.B. die Titel „Flittche vum Eijelstein“, „Knallköpp“ oder „Wärm Bier un köhl Wiever“. Die Band löste sich 1993 offiziell auf, doch Gerd Köster und Bandmitglied Frank Hocker sind auch heute noch auf Bühnen unterwegs.

1999 porträtierte die WDR-Sendung „Rockpalast“ Gerd Köster. Der Titel der Folge lautet „Jächt - Stiefelheld und Königskind“.