Video, das neue Medium veränderte Filmsprache und bot sich als Technik für Gegenöffentlichkeit an.
„lurens“ – eine Jugendmagazin
lurens – der kölsche Ausdruck für „Guck mal“ – lautet der Titel eines Videomagazins, das Kölner Jugendliche im Frühjahr 1979 erstmals selbst produzierten und in anderen Jugendeinrichtungen vorführten.
Anstoß für diese Initiative waren Proteste, die sich in Köln und in anderen Städten Nordrhein-Westfalens gegen die sogenannte „Jugendpolizei“ formierten. In einem Erlass aus dem Jahre 1978 hatte der Innenminister die Polizei angewiesen, „umfassende Unterlagen über Orte anzulegen, an denen Kindern und Jugendlichen besondere Gefahren drohen und die daher überwacht werden müssen.“ Jugendliche und Pädagogen aus Jugendfreizeiteinrichtungen befürchteten Bespitzelungen durch die Polizei.
In der „Offenen Tür Köln-Mülheim“ entstand ein Theaterstück, in dem Jugendliche ihre Sicht und Gegenwehr zum Ausdruck brachten. Das Stück wurde mit Video aufgezeichnet. Da das Thema nicht nur die Mülheimer Jugendlichen anging, wurde der rund 30-minütige Film in mehreren Kölner Jugendeinrichtungen vorgeführt. Die positive Resonanz und das Interesse, miteinander über gemeinsame Themen ins Gespräch zu kommen, gaben den Anstoß zur lurens-Idee.
Im Oktober 1979 entstand die Null-Nummer. Aus den Kölner Jugendzentren Chorweiler, Weiden, Höhenhaus und Esch kamen die ersten vier Videobeiträge. Die Themen deuten an, was die Jugendlichen interessierte: Kölner Rockinitiative, Aus dem Leben eines arbeitslosen Jugendlichen, Fußball-Bundesliga-Geschäft und Dreijähriges Jugendzentrumsjubiläum.
Die Null-Nummer kam an und weitere Jugendeinrichtungen begannen, sich für lurens zu interessieren.
„Produktionszentrale": der Jugendfilmclub Köln
Zentrale Schaltstelle der LURENS-Produktion war der Jugendfilmclub Köln e.V, der auch heute noch, seit den 90er Jahren unter dem neuen Namen jfc medienzentrum e.V., Kinder und Jugendliche in ihrer Medienarbeit unterstützt.
Er hatte damals fünf fest angestellte Mitarbeiter, die rund 120 Kinder- und Jugendeinrichtungen bei ihrer Film- und Videoarbeit betreuten. Der Jugendfilmclub verfügte damit über einen kleinen „Distributionsapparat“, der auch für die Verbreitung des Videomagazins LURENS genutzt werden konnte. Ein Studio mit Video-Schnittplätzen und mehrere transportable Videoanlagen standen den LURENS-Machern kostenlos zur Verfügung. Der Jugendfilmclub Köln übernahm die Aufgabe, ein Kommunikationsnetz für LURENS aufzubauen und kontinuierlich zu erweitern. Als Zusammenschluss von Kinder- und Jugendeinrichtungen lieferte er das notwendige Know-How, betreute die Produktion der Beiträge und organisierte die fertigen Magazine.
Bis 1985 entstanden insgesamt 10 Magazine zu ganz unterschiedlichen Themenfeldern. Es ging um die Auseinandersetzung mit Faschismus und Krieg (Wozu sind Kriege da?), Kriegsdienstverweigerung und Bundeswehr (Rechts um –neulich bei der Bundeswehr), um Fußball und Disco (Disco ist mein Leben), um das eigene Stadtviertel und Jugendarbeitslosigkeit (Usem Leben), um Verhütungsmittel und den Besuch beim Frauenarzt (Dr. Horror) und immer wieder ging es um Kölner Musikgruppen (Dick und Alex, Shilom, Zarah Z, und Straßenjungs).
1986, nach sechs erfolgreichen Jahren, wurde „lurens“ eingestellt. Neue Kommunikationsnetze in der Videoarbeit waren entstanden.
Jugendvideoarbeit bis heute
Aus heutiger Sicht betrachtet, zeugen die „lurens“- Filme mit ihrer ungezwungenen, oft witzigen Diktion von einer Zeit, als die Jugendkultur noch von Aufbruchstimmung geprägt war und Pädagogen kräftig mitmischten. Manchmal spürt man, dass es bei „lurens“ mehr um den pädagogischen Prozess ging, als um perfekte Ergebnisse. Die Videos wirken jedoch noch heute so frisch, originell und ermutigend wie damals, als sie zum Vorbild für Jugend-Videomagazine in anderen Städten wurden, selbst das ZDF darüber berichtete und ein Buch dazu erschien.
Auch wenn sich die Distributionswege verändert haben, setzt das jfc Medienzentrum heute die Tradition der Videomagazine fort. Denn durch das Internet (web2.0) hat die Arbeit von Jugendredaktionen, die Video- und Podcastmagazine produzieren einen neuen Aufschwung bekommen.
So finden sich auf der mehrsprachigen Plattform: Roots&Routes TV des jfc inzwischen mehr als 300 Videobeiträge von Jugendlichen der Redaktionen aus Köln, NRW und ganz Europa. Im Mittelpunkt stehen urbane Jugendkultur mit viel Musik und Tanz aber auch politische Themen wie Integration oder Stadtteilpolitik. 400 registrierte Benutzer/innen füllen die Community aus 13 Ländern mit Leben. Auf so überzeugende Weise übrigens, dass diese Plattform 2008 für den Grimme online-award nominiert wurde.
„Zoom auf Politik“ und „Yougle“ sind weitere Projekte durch die das jfc Medienzentrum heute Jugendliche in Video- und Podcastredaktionen unterstützt und Magazinsendungen über das Internet präsentiert. Hier setzen sich Jugendliche speziell mit politischen Themen auseinander. Reinschauen und reinhören lohnt sich!
www.rootsnroutes.tv
www.gezoomt.de
www.yougle.nrw.de
www.jfc.info
Gekürzte Fassung des Textes „Dr. Horror aus Köln-Kalk. LURENS – Ein Videomagazin von Jugendlichen für Jugendliche. Teilnehmende Beobachtungen von Jochen Wilhelm und Peter Zander, in: Köln im Film – Filmgeschichte(n) einer Stadt, von Christa Aretz und Irene Schoor, Emons Verlag 2004
Literaturtipp: lurens. Erfahrungen mit einem Videomagazin von Jugendlichen für Jugendliche. Hrsg. Jugendfilmclub Köln e.V., Sonderausgabe Nr. 32/33 der Zeitschrift „informationen + materialien zur medienarbeit“, Köln 1982
Themen 1979 - 1986
lurens-Null-Nummer (Oktober 1979)
Drei Jahre Jugendzentrum Chorweiler, Jugendzentrum Chorweiler
Dick und Alex, Jugendzentrum Weiden
Usem Leven (Aus dem Leben), Jugendzentrum Höhenhaus
FC Cosmos Esch, Jugendzentrum Esch
lurens I (Januar 1980)
Leben in Kalk, Beratungsstelle Kalk
Zarah Z, Jugendzentrum Weiden
Weißt Du, was Faschismus ist, Seminargruppe Kölner Jugendpark
Rollerchaos am Dom – Ärgernis oder Freizeitspaß?, Videogrupe Kölner Jugendpark
lurens II (Mai 1980)
Dr. Horror, Mädchengruppe Beratungsstelle Kalk
Disco ist mein Leben, Video-Gruppe Ehrenfeld
Heim, Heim, Heim, Video-Gruppe Riehl
Straßenjungs, Videogruppe Kölner Jugendpark
lurens III (Februar 1981)
Ich glotz TV, Jugendzentrum Weiden
Anmachen, Videogruppe Bensberg
Shilom, Videogruppe Kölner Jugendpark
Jugendberatung im „Kumm ’erin“, Beratungsstelle Kalk
lurens IV (Juli 1981)
Rechts um – Neulich bei der Bundeswehr, Videogruppe Deutz (Bürgerzentrum)
Glocken statt Rocken, Videogruppe Weidenpesch
Schülerstreik, Videogruppe Chorweiler
lurens V (März 1982)
Saubermanns Wohnzimmerkrimi, Videogruppe Deutz (Bürgerzentrum)
Wozu sind Kriege da?, Videogruppe Deutz
Rausgewachsen, Jugendzentrum Weiden
lurens VI (September 1981)
Weg mit 16, Videogruppe Nippes
Schulstress, Videogruppe Nippes
Neonazis, Videogruppe Chorweiler
lurens VII (ohne Datum)
Sabine ist arbeitslos, Videogruppe Nippes
Arbeitslosigkeit (ohne Titel), Videogruppe Weidenpesch
Neue Deutsche Well, Videogruppe Opladen
Ulk Video, Videogruppe Weiden
lurens VIII (ohne Datum)
She worked hard for the money, Videogruppe Zollstock
Es ist, wie es ist, Videogruppe Menden
Immer dieser Horror, Videogruppe Bensberg
Noch mehr Horror, Videogruppe Bensberg
lurens IX (ohne Datum)
Ohne Titel, Videogruppe Stollwerck
(Aus)Wege, Jugendzentrum Porz
Ohne Titel, Videogruppe Geldernstraße
Träumen von Sheila, Videogruppe „Die Falken“
lurens X (1986)
Only one day – just an illusion, Videogruppe des August-Bebel-Hauses
Banküberfall, OT Vitalisstraße
Aids, Bürgerzentrum Deutz
Tussy – Der große Irrtum, kein Hinweis auf die Videogruppe